Reise nach Vilnius: Litauen und die Verantwortung Europas

Vom 03. bis zum 04. Februar 2022 nahm ich an der Reise der außenpolitischen Sprecher des Bundestages nach Vilnius, der Hauptstadt Litauens, teil. Die Delegation wurde von Nils Schmid (SPD) geleitet. Neben ihm waren Jürgen Hardt (CDU/CSU) und Ulrich Lechte (FDP) dabei.

Die Reise nach Vilnius war die erste gemeinsame Reise des neu konstituierten Auswärtigen Ausschusses. Sie sollte ein Zeichen der Solidarität mit einem Land setzen, das mitten in Europa in besonderer Weise unter Druck geraten ist. Zum einen ist es Ziel extraterritorialer Sanktionen von China. Hintergrund ist der Austritt aus der Gruppe 17 + 1 sowie die Eröffnung eines Verbindungsbüros mit Taiwan in Vilnius. Zum anderen massiert Russland in der unmittelbaren Nachbarschaft des Landes Zehntausende von Soldat*innen, nicht nur an der Grenze zur Ukraine, sondern auch in Litauens Nachbarstaat Belarus.

Das Signal dieser ersten Reise ist in Litauen sehr begrüßt worden. Leider war ein Besuch bei den deutschen Soldat*innen in Rukla durch den gleichzeitigen Kontingentwechsels nicht möglich.

Chinas Sanktionen

Das Vorgehen Chinas gegen Litauen hat seine Ursache nicht nur in der Eröffnung eines taiwanesischen Verbindungsbüros, sondern auch in der Aufkündigung der Mitgliedschaft im Format 17 + 1. Warum diese nicht zusammen mit anderen – etwa baltischen – Staaten erfolgte, blieb offen. Der bizarre Streit darum, dass das was in Litauisch taiwanesisch heißt, sich im Chinesischen auf Taiwan verkürzt, ist vorgeschoben. Es gäbe rund 20 solcher Büros in der EU, teilweise mit gleichem Namen. Aber es gäbe keines was nach 2002 eröffnet worden sei. Offensicht wolle China mit einer geänderten Politik die Eröffnung neuer Büros unterbinden.

Dafür spricht auch die maßlose Unverhältnismäßigkeit mit der China auf die Eröffnung des Büros in Litauen reagierte. Die Streichung aus der Zollliste sowie die Drohungen gegen Hersteller der Automobilindustrie, die, etwa wie das Unternehmen Hella, in ihren Lieferketten Vorprodukte aus Litauen haben, unterstreicht dies. Wie diese sekundären Sanktionen dann umgesetzt werden, ist noch nicht ganz klar. Zunächst hat es die bereits bisher stattfindende große Willkür beim Zoll in China noch einmal massiv gesteigert –auch wenn es durchaus Zeichen pragmatischer Anwendung der Zollvorschriften gibt.

Vor diesem Hintergrund scheint das eigentliche Problem für Litauen, das Vermeidungsverhalten der Unternehmen zu sein, die schon aus den US-Sanktionen gegen den Iran bekannte over-compliance. So wurde zum Beispiel Litauen in einer Umfrage unter Unternehmen jetzt als „politisch instabil“ eingestuft. In Verbindung mit gestiegenen Gehältern führt dies zu einer Abwertung als Standort.

Der Vorgang zeigt, dass Europa dringend ein anti-coercion instrument braucht. Dieses muss sich auch mit der Gefahr der Übererfüllung von Sanktionen auseinandersetzen.

Russlands Truppen

Der Besuch in Vilnius war überschattet von dem Aufmarsch russischer Truppen an der Grenze zur Ukraine, aber auch im benachbarten Belarus. Gerade die Massierung russischer Truppen an der Grenze zu Litauen löst Besorgnis aus. So habe Russland 15.000 Spezialeinheiten bei Hrodna (Belarus) zusammengezogen.

Die Befürchtung ist, dass Russland im Zusammenwirken mit den Einheiten, die es in der russischen Enklave bei Kaliningrad stationiert hat, den Suwalki-Korridor schließen und so das gesamte Baltikum von Polen und Europa abriegeln könnte.

Vor dem Hintergrund dieser Lage wird die Präsenz der NATO im Rahmen der Enhanced Forward Presence (EFP) – und hier besonders die Führung durch Deutschland in Litauen – außerordentlich begrüßt. Litauen sieht darin ein Signal der Verlässlichkeit und der Bündnissolidarität.

Zum 5. Jahrestag der EFP hat Deutschland angesichts der russischen Truppenmassierung beschlossen, die für je ein halbes Jahr nach Rukla entsandte Battlegroup, die bisher nur 600 ihrer Soldat*innen schickte, auf die volle Stärke von 900 zu erhöhen. Ähnlich gehen die anderen lead nations USA, Kanada und Großbritannien vor.

Die temporären Präsenzen stehen im Einklang mit der NATO-Russland-Grundakte. Zudem stehen sie in keinem Verhältnis zu den Massierungen auf der russischen Seite. Hat Russland an den Grenzen zur Ukraine weit über 100 Battlegroups massiert, sind es auf NATO-Seite vier.

Insbesondere die Gespräche mit den Mitgliedern des Auswärtigen Ausschusses, des Verteidigungsausschusses und mit Außenminister Gabrielius Landsbergis zeigten die Verbundenheit unserer Gesprächspartner mit NATO und Europäischer Union. Interessant war, dass die Parlaments-Kolleg*innen dabei vor allem ihr „nordisches“ Selbstverständnis – in Abgrenzung zu Haltungen der Visegrád-Staaten – unterstrichen.

Belarus

Sviatlana Tsikhanouskaya, die in Litauen im Exil lebende Siegerin der Präsidentschaftswahl von Belarus, unterstrich bei unserem Besuch, dass sie nicht „die Opposition seien“. Sie seien die gewählte legitime Vertretung von Belarus. Sie bedankte sich für die europäische Unterstützung und lud zu einer Konferenz ein.

Das anstehende Referendum in Belarus habe keine demokratische Grundlage. Der Versuch, den neutralen Status auszuhebeln und auch die Option in Belarus Atomwaffen zu stationieren, verändere die Bedrohungslage in Europa. Faktisch wird Belarus zum Bestandteil von Russlands Militärstrategie. Ob Russland dort tatsächlich, wie in Kaliningrad, Atomwaffen stationiert, ist aber noch offen.

Die Sanktionen gegen Belarus haben lange gebraucht, um umgesetzt zu werden. Hierbei sei es vor allem um die Kaliexporte gegangen. Inzwischen sei es gelungen, die Exporte über das litauische Klaipeda zu unterbinden. Im Zusammenwirken mit der ukrainischen Regierung sei es auch gelungen,den Export über Odessa zu unterbinden. (Dies dürfte bei einer Besetzung durch Russland rückgängig gemacht werden.)

Gesprächspartner

  • Mathias Sonn, Botschafter

Enhanced Forward Presence Battlegroup Litauen

  • Oberstleutnant Ruppelt
  • Oberstleutnant Andrä

Regierung

  • Gabrielius Landsbergis, Außenminister der Republik Litauen
  • Raimonda Murmokaitė, Politische Direktorin
  • Tomas Grabauskas, Referatsleiter für West- und Mitteleuropa
  • Asta Skaisgirytė, Chefberaterin für Außenpolitik des Präsidenten der Republik Litauen

Auswärtiger Ausschuss, Ausschuss für Verteidigung

  • Audronius Ažubalis, Homeland Union: Christian Democratic Party
  • Žygimantas Pavilionis, Homeland Union: Christian Democratic Party
  • Valdas Rakutis, Homeland Union: Christian Democratic Party
  • Dovilė Šakalienė, Social Democratic Party

Wirtschaft

  • Jovita Neliupšienė, Vizeministerin für Wirtschaft
  • Dominic Otto, Stv. Leiter der Außenhandelskammer Vilnius
  • Diana Mickevičiene, Botschafterin Litauens in China
  • Dalia Kreivienė, Außenministerium, Abt. Leiterin Internationale Handel

Gesprächspartner*innen  zu Belarus

  • Sviatlana Tsikhanouskaya
  • Linas Kojala, Leiter Eastern Europe Studies Centre
  • Jakob Wöllenstein, KAS Leiter Auslandsbüro Belarus

Verwandte Artikel

Kommentar verfassen

Artikel kommentieren


* Pflichtfeld